Krisen, Kriege und die anhaltende Ausbreitung des Autoritarismus haben dazu geführt, dass die Lage der Pressefreiheit in 2022 so instabil war wie seit langem nicht. Dies lässt sich aus der neuen Rangliste der Pressefreiheit ablesen, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am 3. Mai 2023, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht. Deutschland ist auf Platz 21 gefallen.
Pressearbeit spielt eine entscheidende Rolle in Demokratien, da sie die öffentliche Meinungsbildung fördert und dazu beiträgt, dass Regierungen und andere Machthaber zur Rechenschaft gezogen werden können. Eine freie und unabhängige Presse ist notwendig, um die Bürgerinnen und Bürger mit unparteiischen Informationen zu versorgen und ihnen dabei zu helfen, informierte Entscheidungen zu treffen. Ohne eine starke Presse können korrupte Regierungen und Institutionen ungestraft handeln und die Rechte und Interessen der Bürgerinnen und Bürger untergraben.
Pressefreiheit ist eine grundlegende Voraussetzung für eine lebendige und funktionierende Demokratie, weshalb Demokratie-Bildung insbesondere auch in Schulen wichtig ist! Das Betreiben von Online-Schülerzeitungen bietet sich dafür an!
Entwicklungen, wie die fast völlige Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung in Russland infolge des Ukrainekriegs, massenhafte Festnahmen von Medienschaffenden in der Türkei und die weiter gestiegenen Aggressionen gegenüber Reporterinnen und Reportern am Rande von Demonstrationen in Deutschland sorgten dafür, dass viele Länder auf der Rangliste abrutschten. Die teils deutlichen Abstiege und gleichzeitigen Aufstiege vieler anderer Länder zeigen, wie flüchtig die weltweite Lage in einer Zeit von Krisen, medien-feindlicher Hetze und Desinformation ist.
“Die Aggressivität gegenüber Medienschaffenden steigt weiter. Viele Regierungen und gesellschaftliche Gruppen versuchen, kritische Berichterstattung zu unterbinden. Erschreckend ist, dass die Zahl der Übergriffe in Deutschland auf ein Rekordhoch gestiegen ist”, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. “Demokratische Regierungen müssen Medien in ihren eigenen Ländern unterstützen, den Druck auf autoritäre Regime erhöhen und auch Exilmedien stärken. Desinformation darf nicht die Oberhand behalten.“
Die Lage der Pressefreiheit ist der RSF-Skala zufolge in 31 Ländern „sehr ernst“, in 42 „schwierig“, in 55 gibt es „erkennbare Probleme“, und in 52 ist die Lage „gut“ oder „zufriedenstellend“. Die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende sind also in rund 70 Prozent der Länder weltweit problematisch, ähnlich wie im Vorjahr. Drei Länder sind dieses Jahr in die schlechteste Kategorie „sehr ernst“ abgerutscht: Tadschikistan, Indien und die Türkei.
Qualitative und quantitative Analyse von fünf Pressefreiheits-Indikatoren
Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Die Rangliste stützt sich auf fünf Indikatoren:
- Neben Sicherheit sind dies
- politischer Kontext,
- rechtlicher Rahmen,
- wirtschaftlicher Kontext und
- soziokultureller Kontext.
Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum einen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechts-Verteidiger:innen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit 123 Fragen beantworteten, zum anderen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zu Übergriffen auf Journalistinnen, Journalisten und Medien, deren Zahl in den Indikator Sicherheit einfließt.
Mittels einer Formel wird daraus ein Punktwert zwischen 0 und 100 ermittelt, wobei 0 das schlechtestmögliche und 100 das bestmögliche Ergebnis ist. Aus der Abfolge der Punktwerte der einzelnen Länder ergibt sich die weltweite Rangliste.
Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln. RSF hat die neue Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Aufgrund der geänderten Methodik ist beim Vergleich der Rangliste insgesamt und von einzelnen Ergebnissen vor und nach 2021 Vorsicht geboten. In die Rangliste der Pressefreiheit 2023 fließen Daten vom 1. Januar bis 31. Dezember 2022 ein. Mehr zur Methodik hier.
Deutschland: So viele physische Angriffe wie noch nie
Deutschland belegt Rang 21. Der Abstieg um fünf Plätze ist vor allem mit dem Vorbeiziehen anderer Länder zu erklären, die sich zum Teil stark verbessert haben; Deutschlands Punktezahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,13 auf 81,91 von 100 verschlechtert. Grund dafür ist die weiter wachsende Gewalt gegen Journalistinnen, Journalisten und Medien: Mit 103 physischen Angriffen dokumentiert RSF den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2015. Im Kalenderjahr 2021 hatte es 80 Angriffe gegeben, 2020 waren es 65.
Auf den ersten und letzten drei Plätzen der Rangliste gibt es zum ersten Mal seit mehreren Jahren signifikante Veränderungen.
Norwegen belegt zum siebten Mal in Folge den ersten Platz. Es ist das einzige Land, das bei allen Indikatoren mehr als 90 von 100 Punkten erzielt hat. Erstmals seit langem folgt auf dem zweiten Platz mit Irland ein Land außerhalb Skandinaviens. In Irland hat der Pluralismus auf dem Medienmarkt zuletzt zugenommen, ein neues Verleumdungsgesetz schützt Medienschaffende vor missbräuchlichen Klagen, und die Regierung hat sich bereit erklärt, den Großteil der Vorschläge einer Kommission für die Zukunft der Medien umzusetzen. Damit verdrängt Irland Dänemark vom zweiten auf den dritten Platz. Schweden fällt aus den Top 3 auf den vierten Platz. Mit einer Verfassungsänderung wurde dort Auslandsspionage unter Strafe gestellt und ins Strafgesetzbuch aufgenommen, was gegen Medienschaffende, Whistleblowerinnen und Whistleblower verwendet werden könnte. Zudem gab es einige Fälle von Polizeigewalt.
Die letzten Plätze belegen in diesem Jahr ausschließlich Regime in Asien.
In Vietnam (178, -4) hat die Regierung ihre Jagd auf unabhängige Reporterinnen und Kommentatoren fast abgeschlossen. Weiter verschlechtert hat sich auch die Situation in China (179, -4), einem der größten Exporteure von Propaganda. Wenig überraschend bleibt Nordkorea (180) auf dem letzten Platz, wo die Regierung keinerlei unabhängige Berichterstattung zulässt.
Quelle: Pressetext von RSF